Amos Biografie und Philosophie

Anton Wilhelm Amo lebte vor ungefähr 300 Jahren. Die wenigen Quellen, wie wir heute zu seinem Leben haben, bleiben oft vage und fragmentarisch. Aus diesem Grund werden wir in diesem Text oft „wahrscheinlich“, „vermutlich“ oder ähnliches schreiben. Auch wenn wir hier den Stand der historischen Forschung zu Amo wiedergeben, denken wir, dass es bedeutsam ist, über die reine Analyse eindeutig evidenter Quellen hinauszugehen. Denn das ermöglicht es unter anderem Amos Widerständigkeit, für die es einige Indizien gibt, zu beleuchten.
 

Amo wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts wahrscheinlich in Nkubeam bei Axim, das im heutigen Ghana liegt, geboren (vgl. Brentjes 1976: 28). Als Kind wurde er allem Anschein nach versklavt (wobei sein genauer Rechtsstatus in der wissenschaftlichen Literatur umstritten ist) und von der niederländischen West-Indien-Kompagnie nach Amsterdam verschifft. Dort wurde er an den Fürsten Anton Ulrich von Braunschweig und Lüneburg-Wolfenbüttel verschenkt, der ihn wiederum an seinen Sohn August Wilhelm übergab (vgl. Ette 2014: 14–17). So kam Amo in deutschsprachige Gebiete, wo er einen Großteil seines Lebens verbringen sollte. 1707 wurde er auf die Namen der Fürsten „Anton“ und „Wilhelm“ getauft. Der Name „Amo“, den er ab 1720 auf Dokumenten verwendet, ist höchstwahrscheinlich sein Nzima-Name, den er schon als Kind trug (vgl. Appiah 2018: 107–108).

 

 

Amo war nicht die einzige Schwarze Person, die zu dieser Zeit in deutschsprachigen Gebieten gelebt hat. Es war zur damaligen Zeit rassistische “Mode” an europäischen Adelshöfen Schwarze Bedienstete zu haben, die exotisierend dargestellt wurden und als Prestigeobjekte dienten. Viele dieser Schwarzen Bediensteten sind im Rahmen des transatlantischen Versklavungshandel nach Europa gebracht worden und waren beliebte “Geschenke” im Adel (vgl. Kuhlmann-Smirnov 2014: 69–70). Obwohl es zu dieser Zeit in deutschsprachigen Gebieten keine rechtlich verankerte Form der Versklavung gab (woraus oft fälschlicherweise geschlossen wurde, dass Versklavung nicht existierte), gab es doch versklavte Menschen und eine informellere Form der Eigentumsversklavung, wie die Präsenz Schwarzer Bediensteter bezeugt (vgl. Zeuske 2013: 517). Diese Anwesenheit stand in direkter Wechselwirkung mit dem transatlantischen Versklavungshandel, an dem einige deutsche Herrscher:innen, Händler:innen und „Abenteurer:innen“ direkt beteiligt waren (z.B. mit der Brandenburgisch-Afrikanischen-Kompagnie; vgl. Lennert 2004). Der Einfluss der transatlantischen Versklavungspraxis auf Stereotype von Schwarzen Menschen in Europa und auf deren soziale Situation in den deutschsprachigen Gebieten (vgl. Kuhlmann-Smirnov 2014: 243) machen es aus unserer Sicht notwendig, explizit von Rassismus zu sprechen, auch wenn zu Amos Lebzeiten biologisch argumentierende Rassentheorien noch nicht formuliert waren (was erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts geschehen sollte). Die Rassentheorien der Spätaufklärung rechtfertigten die bereits davor bestehenden rassistischen, sozialen Verhältnisse und Hierarchien, wie sie insbesondere durch die transatlantische Versklavung Schwarzer Menschen hervorgebracht wurden (vgl. Hund 2018: 81–96). Wir können annehmen, dass Amo regelmäßig mit rassistischen Zuschreibungen und Anfeindungen zu kämpfen hatte. Es gab jedoch auch andere Stimmen. Im Kontext der sogenannten Frühaufklärung um den Hallenser Professor Christian Wolff wurden manche rassistischen und eurozentrischen Sichtweisen zumindest in Frage gestellt (vgl. Brentjes 1975: 32–37). Amo hat schließlich selbst mit seinen Arbeiten bedeutend zu einer frühen Rassismuskritik beigetragen.

 

Wahrscheinlich inspiriert durch frühaufklärerische Ideen schickten die Fürsten von Wolfenbüttel den jungen Amo nach Halle, um ihm dort eine universitäre Ausbildung zu ermöglichen. Vermutlich hatte er schon in Wolfenbüttel eine schulische Laufbahn hinter sich gebracht (vgl. Edeh 2003: 29), im Laufe derer er u.a. eine Vielzahl von Sprachen erlernte, darunter Französisch, Griechisch, Hebräisch und Latein (zur Bedeutung von Amos Vielsprachigkeit vgl. Ette 2014: 31–32). Im Jahre 1727 trug er sich in die Matrikel der Universität Halle ein und begann ein Studium der Philosophie (Brentjes/Thaler 1968: 4). Zur damaligen Zeit war Halle ein bedeutendes Zentrum philosophischer und theologischer Debatten, in denen vor allem zwei Positionen miteinander rivalisierten: Ein durch Christian Wolff geprägter Rationalismus und der durch August Hermann Francke geprägte Pietismus. Es ist bemerkenswert, wie Amo innerhalb dieser Diskurse eine eigene, unabhängige Position entwickelte, die es nicht möglich macht, ihn klar einer ‘Seite’ zuzuordnen. Seine Opposition zum Pietismus ist jedoch deutlicher ausgeprägt als sein kritisches Verhältnis zur wolffischen Philosophie (Ette 2014: 32–33).

 

Im Jahr 1729 hielt Amo seine erste öffentliche Disputation „Über die Rechtsstellung Schwarzer Menschen in Europa“ („De jure maurorum in Europa“). Der Text dieser Disputation ist heute leider nicht mehr erhalten. Ob er einfach verschollen ist, absichtlich vernichtet oder schlichtweg nie gedruckt wurde, ist ungeklärt (vgl. Gutema 2011: 134). Die einzige Primärquelle zum Inhalt von Amos Disputation ist ein Zeitungsartikel in den Wöchentlichen Hallischen Frage- und Anzeigungs-Nachrichten vom 28. November 1729, in dem die zentralen Argumente seines Textes zusammengefasst werden. Demnach habe sich Amo auf die Jurisprudenz Justinians berufen, um die Rechtstellung Schwarzer Menschen in Europa zu diskutieren (Brentjes/Thaler 1968: 5-6). Es ist sehr wahrscheinlich, dass Amo mit diesem Rückbezug auf das römische Recht, den unfreien Status Schwarzer Menschen zu seiner Zeit kritisierte (vgl. Smith 2015: 210).

 

Ein Jahr später, 1730, wechselte Amo die Universität und ging nach Wittenberg, wo er nun auch Medizin studierte. In Wittenberg schrieb er seine Dissertation „Über die Unempfindsamkeit der menschlichen Seele“ („De humanae mentis apatheia“, 1734; vgl. Brentjes/Thaler 1968: 12–34). Darin behandelte er eines der zentralen philosophischen Themen seiner Zeit: das sogenannte Leib-Seele-Problem, welches die Frage betrifft, inwieweit Körper und Seele nach ähnlichen Mechanismen funktionieren und miteinander zusammenhängen oder nicht. Kurz zusammengefasst argumentierte Amo, dass Körper und Seele/Geist grundsätzlich verschiedene Entitäten seien, die entsprechend auf völlig unterschiedliche Weisen operierten - während, laut Amo, der Geist für seine Tätigkeit auf die Informationen der Sinneswahrnehmungen des Körpers angewiesen ist, kann er selbst jedoch nichts empfinden. Es gibt eine anhaltende wissenschaftliche Diskussion darüber, in welcher Denktradition dieses Argument Amos zu positionieren ist und damit verbunden, ob es als antirassistischer Standpunkt interpretiert werden kann (vgl. Smith 2015: 221–225, Meyns 2019, Walsh 2019). Mit seiner Dissertation erhält Amo schließlich die Lehrerlaubnis. Im selben Jahr wird er selbst noch Prüfer bei einer anderen Disputation „Ideam Distinctam“ von Johannes Theodosius Meiner sein. Es deutet einiges darauf hin, dass Amo an Meiners Dissertation mitgeschrieben hat, die ebenfalls das Leib-Seele-Problem behandelt (vgl. Smith 2015: 211).

 

Nach zwei weiteren Jahren in Wittenberg kehrt Amo im Jahr 1736 an die Universität Halle zurück, wo er verschiedene Vorlesungen hält und eine Habilitationschrift vorbereitet, die 1738 unter dem Titel „Traktat über die Kunst, nüchtern und akkurat zu philosophieren“ („Tractatus de arte sobrie et accurate philosophandi“; vgl. Brentjes/Thaler 1968: 60–275) erscheint. Es handelt sich dabei bei weitem um Amos ausführlichstes Werk, in welchem er detailliert sein Verständnis der Philosophie erläutert. Unter anderem fordert er eine pragmatische Philosophie, die humanen Zwecken dienen soll (vgl. Ette 2014: 96; Gutema 2011: 138). Bis heute steht jedoch die Auseinandersetzung mit Amos „Tractatus“ und seiner Bedeutung in der philosophiegeschichtlichen Forschung noch am Anfang. Insgesamt deutet alles darauf hin, dass Amo während seiner zweiten Hallenser Zeit eine bedeutende Figur der dort stattfindenden, philosophischen Debatten war.

 

Nichtsdestotrotz entschloss er sich 1739 Halle wieder den Rücken zu kehren und ging nach Jena, wo er um Lehrerlaubnis an der Universität bat, die ihm auch gewährt wurde. Seine Vorlesungsankündigungen und ein Eintrag in ein Stammbuch in Jena 1740 werden für einige Jahre die letzten Spuren sein, die von Amos Leben Zeugnis ablegen (vgl. Brentjes/Thaler 1968: 276–281). Erst ein weiterer Stammbucheintrag aus dem Jahr 1746 verweist auf seinen weiteren Aufenthalt in Jena, wobei durchaus möglich ist, dass er zwischenzeitlich noch an anderen Orten war (vgl. Firla 2012: 15–23). Wenig später traf Amo wohl die Entscheidung, Europa für immer zu verlassen. Er fragt bei der West-Indischen-Kompagnie an, ob es möglich ist, mit einem Schiff an die damals sogenannte „Goldküste“ zu fahren, zurück in die Region, in der er geboren wurde. Wahrscheinlich zu Beginn des Jahres 1747 kam Amo dort an, wo er vermutlich den Rest seines Lebens verbrachte. Die letzte schriftliche Quelle ist der Reisebericht eines Schweizer Schiffarztes namens Gallandat, welcher angibt Amo in Axim getroffen zu haben. Es wird erläutert, dass Amo dort seinen Vater und seine Schwester wiedergefunden habe und als „Eremit und Wahrsager“ leben würde. Ein Bruder Amos sei versklavt und nach Surinam verschifft worden. Der Bericht schließt mit der Angabe, Amo habe sich später noch in Fort Chama, Festung und Versklavungsstützpunkt der Niederlande, aufgehalten. Es ist denkbar, dass er dort gefangen genommen wurde, da er mit seiner Ausbildung und Erfahrung sicherlich eine Bedrohung für die Versklavungsgeschäfte der Niederlande darstellte (vgl. Brentjes/Thaler 1968: 297–298; Ette 2014: 138–142).

 

Wahrscheinlich nach Amos Abreise veröffentlichte der frühere Mitstudent Amos in Halle, Johann Ernst Philippi, Spottgedichte über Amo. Unter Pseudonym erschienen diese 1747 in Köthen. Die Gedichte handeln von einer vermeintlichen Liebesgeschichte Amos, im Zuge derer er aufgrund seiner Hautfarbe und Herkunft von einer sogenannten Madame Astrine zurückgewiesen wird. Ob eine solche Zurückweisung tatsächlich stattgefunden hat, ist nicht belegt. Es war recht üblich zu der damaligen Zeit, sich über Gegner:innen in der Form von Liebesgeschichten lustig zu machen, die oft jeglicher, realer Grundlage entbehrten (vgl. Brentjes/Thaler 1968: 282-283; Ette 2014: 125–127). Die Spottgedichte Philippis können jedoch repräsentativ für den Rassismus stehen, den Amo während seiner Zeit in deutschsprachigen Gebieten erfahren haben musste.

 

Abschließend sei noch etwas zu Amos Philosophie und ihrer für lange Zeit unterbliebenen Rezeption gesagt: Amo entwickelte innovative Ansätze in den philosophischen Debatten seiner Zeit. Ein Stück weit können wir, nach unseren heutigen Maßstäben gemessen, antirassistische und egalitäre Positionen in seinem Werk finden. Die meisten nachfolgenden Philosoph:innen der Aufklärung erwähnten Amo nicht. Bestimmte Autor:innen  halten es jedoch für möglich, dass Amos philosophische Ideen noch fortwirkten. Jacob Emmanuel Mabe argumentiert bspw., dass Kants Konzept des „Dings an sich“ von Amo beeinflusst worden sein könnte (Mabe 2007: 56). Es ist zumindest unwahrscheinlich, dass Kant nie von dem Schwarzen Philosophen Amo gehört hat. Der traurige Grund, warum Amo von Kant nie genannt wurde, liegt aller Wahrscheinlichkeit darin, dass Amos Existenz den pseudowissenschaftlichen Rassentheorien Kants und anderer widersprochen hätte (vgl. Smith 2015: 229).



Literatur

  1. Appiah, Anthony (2018): The Lies that Bind. Rethinking Identity: Creed, Country, Colour, Class, Culture. First published. London: Profile Books.
  2. Brentjes, Burchard (1976): Anton Wilhelm Amo: der schwarze Philosoph in Halle. 1. Aufl. Leipzig: Koehler & Amelang.
  3. Brentjes, Burchard; Thaler, Burchard (Hg.) (1968): Antonius Gvilielmus [Guilielmus] Amo Afer aus Axim in Ghana. Student, Doktor der Philosophie, Magister legens an den Universitäten Halle, Wittenberg, Jena 1727–1747; Dokumente, Autographe, Belege. Halle(Saale): Martin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg.
  4. Edeh, Yawovi Emmanuel (2003): Die Grundlagen der philosophischen Schriften von Amo. In welchem Verhältnis steht Amo zu Christian Wolff, dass man ihn alseinen führnehmlichen Wolffianer“ bezeichnen kann? Essen: Die Blaue Eule (Philosophie in der Blauen Eule, Bd. 53).
  5. Ette, Ottmar (2014): Anton Wilhelm Amo – philosophieren ohne festen Wohnsitz. Eine Philosophie der Aufklärung zwischen Europa und Afrika. Berlin: Kulturverl. Kadmos.
  6. Firla, Monika (2012): Ein Jenaer Stammbucheintrag des schwarzen Philosophen Anton Wilhelm Amo aus dem Jahr 1746. Stuttgart: AfriTüDe Geschichtswerkstatt(AfriTüDeGelb/AfriTüDe Geschichtswerkstatt).
  7. Gutema, Bekele (2011): Anton Wilhelm Amo. In: polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren 25, S. 133–144.
  8. Hund, Wulf D. (2018): Wie die Deutschen weiß wurden. Kleine(Heimat)Geschichte des Rassismus. Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung (Schriftenreihe/Bundeszentrale für Politische Bildung, Band 10215).
  9. Kuhlmann-Smirnov, Anne (2014): Schwarze Europäer im Alten Reich. Handel, Migration, Hof. Göttingen: V&R Unipress(Transkulturelle Perspektiven, Band 011).
    Online verfügbar unter
    http://dx.doi.org/10.14220/9783737001861.
  10. Lennert, Gernot (2004): Kolonisationsversuche Brandenburgs, Preußens und des Deutschen Reiches in der Karibik. In: Sandra Carreras und Günther Maihold (Hg.): Preußen und Lateinamerika. Im Spannungsfeld von Kommerz, Macht und Kultur. Münster: Lit-Verl.(Europa – Übersee, 12),
    S. 9–30.
  11. Mabe, Jacob E. (2007): Wilhelm Anton Amo interkulturell gelesen. Nordhausen: Traugott Bautz (Interkulturelle Bibliothek, v.31). Online verfügbar unter http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=1714141.
  12. Meyns, Chris (2019): Anton Wilhelm Amo's Philosophy of Mind. In: Philosophy Compass 14 (3), S. 1–13.
  13. Smith, Justin E. H. (2015): Nature, Human Nature, and Human Difference. Race in Early Modern Philosophy. Princeton: Princeton University Press. Online verfügbar unter
    http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=2002152.
  14. Walsh, Julie (2019): Amo on the Heterogeneity Problem. In: Philosopher’s Imprint 19 (41), S. 1–18.
  15. Zeuske, Michael (2013): Handbuch Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin, Boston:
    De Gruyter
    (De-Gruyter-Handbuch). Online verfügbar unter http://site.ebrary.com/lib/alltitles/docDetail.action?docID=10786203.